Fortsetzung von Teil 1.
Wann in Australien das erste Schaf gegen Bezahlung geschoren wurde, ist nicht überliefert. Dafür ist genauestens bekannt, wie viele Schafe es 1845 allein in Victoria gab: 1'792'527 — und die mussten geschoren werden. Um 1850 machte die Wolle bereits zwei Drittel der australischen Exporte aus, die ausschliesslich nach England gingen.
(Quelle: Foto in der Birdsville Bakery)
Geschoren wurde damals mit der Handschere, zuerst im Freien durch die Schafhirten selbst. Die Wolle war von mässiger Qualität, doch wurde rasch optimiert:
- die Merino-Schafe wurden auf höheren Wollertrag und höhere Wollqualität hin gezüchtet
- spezialisierte, fliegende shearers (Scherer) übernahmen ab ca. 1840 die Scherarbeit
- die Schertechnik wurde laufend verbessert
- vor dem Scheren wurden die Schafe im Bach gewaschen, ab ca. 1870 mit warmem Wasser in Becken
- es wurden spezielle woolsheds (Schuppen) gebaut, in denen geschoren, die Wolle aufgenommen, nach Qualität klassiert und in Ballen gepresst wurde.
Die shearers radelten Hunderte Kilometer zwischen den Stations
(Quelle: Buch On the Sheep's Back)
(Quelle: Buch On the Sheep's Back)
Handschere (ziemlich abgenutzt, Klingen bereits stark verkürzt)
Traditionelle shearers' mocassins
Woolshed in Hay
Vier Scherstände — die Schafe warten hinter den Türen
Hinter jeder Türe ein Pferch — Sheep-o!
Richtig platziert halten die Schafe still
Über die Rutschen kommen die Schafe nach dem Scheren wieder ins Freie
Der Entwickler der Tally-Hi Schermethode (Shearers' Hall of Fame, Hay)
- contractor — organisiert und überwacht vor Ort den Betrieb
- shearers — trennen die Schafe von der Wolle
- expert — hielt früher die Scheren scharf und später die Apparate und Maschinen am Laufen
- rouseabouts— nehmen die Wolle am Boden zusammen, und präsentieren den fleece (der Grösste Teil der Wolle kommt als zusammenhängender "Teppich" herunter) auf dem Wolltisch
- tarboy — verarztet die Schafe nach kleinen Schnitten, indem er eine Art Teer draufstreicht; grössere Schnitte muss der shearer selbst mit Nadel und Faden zunähen
- classer — begutachtet die Wolle und teilt sie in Qualitätsklassen ein
- pressers — pressen die Wolle nach Qualität in Ballen à 200 kg
- cook — sorgt für das leibliche Wohl des Teams.
Von einer Dampfmaschine angetriebene Ballenpresse
Vordergrund: Schleifstein für die Schermesser
Küche (Quelle: Buch On the Sheep's Back)
Arbeit im Woolshed; im Vordergrund der wool table, an dem die fleeces klassiert wurden(Quelle: Buch On the Sheep's Back)
Mit der Maschine wird der Rekord bis heute laufend verbessert und steht für Merino-Mutterschafe bei 466 (in 8 Std). Ein shearer verbrennt in einem Arbeitstag annähernd so viele Kalorien wie ein Tour-de-France-Rennvelofahrer. Sheep-o!
Schermaschine (Exponat im Shearers' Museum in Hay, das zeigt, wie die Maschine funktioniert)
Ein grosses Merino-Schaf wird von A bis Z geschoren, dann wird der fleece auf den Tisch geworfen und gesäubert
Scheralltag heute
Die Schermaschinen hielten ab den späten 1880er-Jahren Einzug, und es kam zum Glaubenskrieg: Handschere gegen Maschine. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten shearers in gut angelsächsischer Manier bereits gewerkschaftlich organisiert, und die Gewerkschaft hatte Angst, dass mit der Maschine schneller geschoren werden konnte und dass dadurch weniger Mitglieder Arbeit fanden. Das war ein Motto, das sich bis in die 1980er-Jahre durchzog, als die Neuseeländischen shearers in Australien einen Scherkamm zu benutzen begannen, der 91 mm statt der gewerkschaftlich erlaubten maximalen 64 mm breit war (Details). In beiden Fällen kam es zu gewaltsamen Anfeindungen, zu Streiks, Schlägereien, Brandstiftungen, Vergiftungen mit Strichnin, Verhaftungen und Gerichtsprozessen, die Gräben in ganz Australien hinterliessen. Die Gewerkschaft trat von Anfang an als Verhindererin des technologischen Fortschritts auf. 1891 kam es an mehreren Orten in Queensland zum Streik, das Streikkomittee tagte in Barcaldine. Während fünf Monaten lagerten dort 4'500 streikende shearers. Die politische Führung schlug sich auf die Seite der Station-Besitzer, die Streikbrecher herbeifahren liessen, weil ihre Schafe geschoren werden mussten. 1'000 Polizisten wurden aufgeboten. Aber das Ganze war von der ASU schlecht geplant gewesen, das kalte und nasse Wetter zermürbte die Streikenden, das Geld ging aus, sie mussten das Handtuch werfen. Doch ging aus dieser Bewegung die Labourers' Union hervor, die der Vorläufer der heutigen Australischen Labor Party (ALP) war. Die Konstitution der ALP besagt heute noch:
"The Australian Labor Party is a democratic socialist party and has the objective of the democratic socialisation of industry, production, distribution and exchange, to the extent necessary to eliminate exploitation and other anti-social features in these fields" (Quelle).
Schmaler und breiter Scherkamm
Tree of Knowledge in Barcaldine: hier tagte 1891 das Streikomittee
Es ist allgemein bekannt, dass Ford, Holden und Toyota ihre Produktionen in Australien in den nächsten zwei Jahren unter anderem auch deshalb einstellen, weil sie keine gemeinsame Zukunft mit den australischen Gewerkschaften mehr sehen. So verlieren die Gewerkschaftsmitglieder nun nicht nur einen Teil ihrer Privilegien sondern gleich die Stelle. Sheep-o!
Quellen: Buch On the Sheep's Back, 2010; Buch The Shearers, Ewan McHugh, 2015 (auch als Hörbuch verfügbar); Shearers' Museum und Shearers' Hall of Fame, Hay, Australia