Montag, 7. März 2011

Interview — Teil 4

Teil 1
Teil 2
Teil 3 

Arbeiten in Melbourne

A380

Coooo-eeee: Wir sitzen jetzt hier im Flughafen Dubai – bist Du gut gereist?

Oliver: Super, sogar. Der Hinflug von Dubai nach Melbourne war die Hölle, weil in der B777 der Fussraum vor dem Sitz mit dem blöden Computer für das In-Flight Entertainment System versperrt war. Ich konnte kaum sitzen, geschweige denn schlafen, und hatte danach ein paar Wochen Rückenweh. Der Grund, weshalb ich jetzt doch wieder mit Emirates geflogen bin, war die Aussicht, im neuen A380 zu reisen. Das ist der Riesenvogel mit einer Kapazität von 800 Personen.

Und?

Endlich mal genügen Knieraum

Ich bin begeistert. Man hat auch in der Economy-Klasse gut Platz. Die Gänge sind breit, es hat vier Toiletten statt nur zwei, und es gibt Economy-Plätze praktisch in der Nase des Flugzeugs, wo es recht ruhig ist. Zudem kann man bei Emirates 30 kg Check-In-Gepäck mitnehmen, worum ich sehr froh war.


Zurück zu unserem eigentlichen Interview: Wie ging es mit Deinem Job in Melbourne?

Ich hatte gleich zweifach Glück: zum einen fand ich eine interessante Arbeit, die mich forderte. Und zum anderen stiess ich so früh zum Team, dass ich dem Produkt meinen Stempel aufdrücken und bei wichtigen Technologieauswahlen mitbestimmen konnte. Ich gehe jetzt hier nicht in die technischen Details; wir spezifizierten und bauten von Grund auf ein neues grafisches Werkzeug und eine Server-Umgebung für das Workflow-Design und die Abarbeitung von Kreditanträgen. Technisch konnte ich fast dort weiterarbeiten, wo ich bei Paranor aufgehört hatte und dann noch Erfahrung aus früheren Projekten zugeben. Ich habe Modelle für den Workflow und für die grafische Oberfläche erarbeitet, von denen wir — wie bei Paranor — relativ viel Code generieren konnten.

Da Jeannines Job von Anfang an auf November 2010 befristet war, terminierte ich meinen Vertrag auch auf November, obwohl das Projekt dann in der heissesten Phase war. Das war etwas schade, denn ich mache Sachen gerne fertig. Vor zwei Wochen ging ich aber für einen Nachmittag zu Veda zurück, um das Team ein letztesmal zu treffen und mir das nun fast fertige Produkt vorführen zu lassen. Es kommt gut!

Bild Stand Oktober 2010 (veraltet)

War es eine gute Erfahrung?

Und wie! Obwohl der Projektleiter ein Ei war und von Software-Spezifikation und -Bau keine Ahnung hatte, jedoch überall mitentscheiden wollte. Das führte zu vielen einer Erbsenzählerei und nützte das Team ab. Aber weil das Projekt anfangs arg in Schwierigkeiten war, konnte ich massgeblich mithelfen, es auf konzeptuell und technisch gute Schienen zu stellen.

Die Arbeitsumgebung war fundamental anders, das hat mir gefallen (Blog-Eintrag), auch wenn ich mir noch einen neuen Anzug kaufen musste. Das Team bestand aus drei Australiern, einer Australierin, zwei Malaien, drei Russen, einem Serben, drei Indern, einem Amerikaner und mir.


 

Wie funktionierte das Projekt im Vergleich zur Schweiz?

Das Projektvorgehen war fast identisch, denn die IT ist global ziemlich ähnlich aufgestellt. Ich kann nicht sagen, ob die Unterschiede generell mit Australien zu tun hatten, oder ob das in der Schweiz von Firma zu Firma nicht sogar mehr variieren könnte.

Was war der kulturelle Hauptunterschied?

Wie ich bereits früher angetönt hatte: die Leute tun sich schwerer, Verantwortung zu übernehmen; es ist immer der Drang da, bald Resultate zu liefern, auch wenn die Qualität sichtbar darunter leidet; statt Fehler zu analysieren und auch mal jemandem auf die Finger zu klopfen, klopft man sich eher gegenseitig auf die Schultern; und wenn der Tag zu Ende ist, geht man nach Hause und lässt die Arbeit im Büro. Jemand zuhause anrufen erfordert eine echte Ausnahmesituation. Sie wollen in ihrer Freizeit nicht gestört werden. Trotzdem: wir hatten mehrheitlich gute und arbeitswillige Leute im Projekt.

Wie schwierig war es eigentlich, einen Job zu finden?

Ich habe etwa sechs Wochen gebraucht, ca. 20 Bewerbungen eingereicht und mich dreimal vorgestellt. Fast alle Stellen werden online ausgeschrieben, und man bewirbt sich per Email oder über spezielle Online-Plattformen. Das war für mich sehr praktisch.

Ich musste mich zuerst in das Thema "Job finden" einarbeiten, denn ich hatte mich seit 18 Jahren nicht mehr beworben … Meine Erfahrung hat letztlich nicht so sehr gezählt, wie ich mir das erhofft hatte. Wenn die Skills da sind, wird man zum Interview eingeladen, sonst nicht. Deshalb wird im CV grosszügig aufgezählt. Und ich musste lernen, dass das CV letztlich nur dazu da ist, einem einen Interview-Termin zu verschaffen. Mit jeder Bewerbung sendet man einen Brief (covering letter), in dem man darlegt, dass man genau die richtige Person für die ausgeschriebene Stelle ist. Alles entscheidend ist aber das Interview, oft sind es mehrere mit verschiedenen Leuten.


Wie sind die Anstellungsbedingungen?

Generell wird mehr an Contractors vergeben und weniger fest angestellt. Erstere verdienen dann nur die Tage, an denen sie arbeiten. Lustig ist für die Festangestellten das Konzept der sickies (Kranktage), von denen man vertraglich typischerweise zehn pro Jahr zugute hat. Die nimmt man, wenn man selbst oder ein Familienmitgliede krank ist. Fast niemand lässt ungenutzte sickies verfallen, und das wird auch so verstanden. Man erhält am Morgen vom Teamleiter dann auch mal eine Email, "Clark is unwell today and will not be in", und eigentlich weiss jeder, dass der Wind heute gut ist und das Clark gerne windsurft … Und keiner wird am Folgetag Clark zu seinem Gesundheitszustand befragen und diesen so zu einer Notlüge zwingen.

Wie war das Lohnniveau?

Das ist klar tiefer als in der Schweiz. Aber ich hatte von der ausgeschriebenen Rolle her auch nur technische Verantwortung. Projekte leiten wollte ich nicht, weil man da die Kultur und die Firma gut kennen muss, sonst ist es ein Kampf gegen Windmühlen. So kann ich den Lohn nicht 1:1 vergleichen. Gewisse Spezialisten verdienen auch in Melbourne über 150'000 Franken pro Jahr.


Und nun die Preisfrage: würdet Ihr so etwas noch einmal machen?

Nach der Erfahrung in Melbourne müsste die Frage eher lauten, wann macht Ihr das nächstes Mal? Unbedingt, war super!

Wieder Australien?

Eher nein, das hatten wir jetzt. Spanien, Argentinien oder Neuseeland wären nämlich auch ganz interessant. Aber Australien ist ein gutes Land, um Arbeitserfahrung ausserhalb der Schweiz zu sammeln.


(Fortsetzung und Schluss: Teil 5, Reisen)

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