Mittwoch, 29. April 2015

Rette sich wer kann, Coral Coast, WA

Wann ein Handtuch nicht mehr genügt • Welche Nebenwirkungen ein tropischer Sturm noch haben kann • Wozu man ein sanity net braucht • Was Fliegen unwiderstehlich finden

Der sonst eher für seine Einsilbigkeit berüchtigte «Hitchhiker's Guide to the Galaxy» — über den Planeten Erde ist dort einzig zu lesen: “Harmlos.” — wird geradezu episch, wenn es um das Handtuch im Reisegepäck geht:


A towel […] is about the most massively useful thing an interstellar hitch hiker can have. Partly it has great practical value — you can wrap it around you for warmth as you bound across the cold moons of Jaglan Beta; you can lie on it on the brilliant marble-sanded beaches of Santraginus V, inhaling the heady sea vapours; you can sleep under it beneath the stars which shine so redly on the desert world of Kakrafoon; use it to sail a mini raft down the slow heavy river Moth; wet it for use in hand-to-hand‐combat; wrap it round your head to ward off noxious fumes or to avoid the gaze of the Ravenous Bugblatter Beast of Traal (a mindbogglingly stupid animal, it assumes that if you can't see it, it can't see you — daft as a bush, but very ravenous); you can wave your towel in emergencies as a distress signal, and of course dry yourself off with it if it still seems to be clean enough. (Deutsche Übersetzung)

Natürlich haben wir auch zwei Handtücher mit und verwenden sie für fast alle oben beschriebenen Fälle, doch führen bei uns seit zehn Tagen drei andere Gegenstände die Hitparade der unentbehrlichsten Reiseutensilien an. Vor elf Tagen sassen wir abends bei 26°C an einem Aussichtspunkt und kamen, nachdem die Sonne im Meer versunken war, in fast schon hellseherischer Weise zur Erkenntnis, dass man es extrem geniessen muss, an einem lauwarmen Abend einfach so dasitzen zu können, ohne von Insekten gefressen zu werden. Das sollte sich am nächsten Mittag mit der Ankunft in Kalbarri schlagartig ändern: mit einem Mal waren da nicht nur drei oder vier lästige Australische Kampffliegen in Augen, Ohren und Nasen, sondern mindestens dreissig oder vierzig. Willkommen in der tropischen Zone! Optimistisch versuchten wir noch, unsere Sandwiches im Freien zu essen. Seit da ist Tenuezwang so lange die Sonne über dem Horizont steht. Um den Mittag ist es am schlimmsten.




Grund für die fast schon biblische Plage (“fast schon”, weil es im 2. Buch Mose Stechfliegen waren, während “unsere” Fliegen einfach nur lästig sind) ist der tropische Sturm (cyclone) Olwyn vom 8. bis 14. März, der dem westlichsten Zipfel von Australien ungewöhnlich starke Niederschläge bis weit ins Land hinein bescherte. Statt staubig rot-braun und trocken ist es hier im Moment wunderbar grün. Und statt Wind vom Meer bläst seit dem Sturm meist ein Wind aus dem Landesinnern. Das hat binnen weniger Tage die Fliegen an die Küste geblasen, wo sie mit dem neuen Grün paradiesische Zustände vorfinden — und sich entsprechen vermehren. Seit zwanzig Jahren hätten sie keine solche Fliegenplage mehr gehabt, meinte die Lady von der Waroora Station (= Farm), und das sei jetzt schon seit fünf Wochen so.


Hält man sich im Freien auf, so zieht man, wie an unsichtbaren Fäden, ein Heer von wohl mehreren Hundert Fliegen mit sich herum, die sich — wie bereits im Dezember bemerkt — nicht abschütteln lassen. Steigen wir in die Führerkabine unseres Autos, kommen sie mit, da hilft alles Fuchteln und Fächeln nichts. Das Einzige, was die Fliegen unwiderstehlich finden, ist das offene Autofenster ab 60 km/h. So schafft man es nach und nach, auf ein Fliegeniveau zu kommen, bei dem man das Kopfnetz wieder ablegen kann.

Schwieriger wird die Aufgabe, wenn wir in unser Wohnzimmer einsteigen wollen. Geht man die Sache zu lässig an, findet man sich im Innern mit mindestens 50 Fliegen wieder, die es weiterhin auf Ohren, Augen und Nasenlöcher abgesehen haben. Das Handtuch (siehe oben) leistet gute Dienste vor dem Einsteigen, indem man damit möglichst viel Wind verursacht, den die Fliegen nicht mögen und der sie verwirrt.

Als erstes haben wir deshalb unser Fliegenrollo, das man zum Einsteigen bis ganz nach oben öffnen muss, um einen Fliegenvorhang verstärkt, der sich in der Mitte dank Magneten sofort wieder schliesst (Mitre10, 13 Dollars). Damit sind wir beim Platz 3 der aktuell unentbehrlichsten Reisegegenstände.


Sind wir dann mal drin, kommt Platz 2 zum Zug: die gute alte Fliegenklatsche (IGA, 75 Cents). Das Morden dauert gut und gern 10 Minuten, bis einigermassen Ruhe herrscht.


Natürlich ist das Kopfnetz auf Platz 1 (Atlas, 10 Franken), denn ohne dieses wären die Tage gar nicht erst zu überstehen. Ein Ranger nannte es kürzlich das sanity net, weil es einen vor dem Irrsinnig-Werden bewahrt.


Wollte ich noch einen Trostpreis (Platz 4) vergeben, dann wäre es wohl unser Handbesen. Und zwar nicht das Billigmodell von Bauhaus mit Kunststoffborsten (diese stehen bereits nach kurzem Gebrauch in alle Richtungen ab), sondern ausschliesslich das Fabrikat von EBNAT mit Rosshaarborsten (LOEB, 15 Franken). Sieht auch nach sechs Monaten noch aus wie neu und wischt Sandkörner so gründlich wie tote Fliegen.




2 Kommentare:

  1. Das ist ja unglaublich! Wäre interessant zu wissen, was die Fliegen genau anzieht, neben dem Offensichtlichem. Z.B., was finden sie am Rucksack?

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    1. Bei der Australischen Buschfliege, Musca vetustissima, sind — wie bei den Stechmücken — vor allem die Weibchen die Spielverderber: damit ihre Eier überhaupt reifen, müssen sie gewisse Proteine zu sich nehmen. Das macht sie für uns aggressiv macht. Was sie aber am Rucksack genau finden, erschliesst sich mir auch nicht, doch dürften sich auch dort Schweissreste vorfinden (warum der Rucksack schwitzt? Don't ask me …).

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