Dienstag, 14. April 2015

Whale World, Albany, WA

Welcher Exportschlager noch vor der Wolle kam • Warum Walfang nach dem Zweiten Weltkrieg wieder lukrativ wurde • Wie man einen Wal fängt und zerlegt • Welche Länder heute noch Wale jagen

Aktuell (2013-2014) exportiert Australiens Industrie vor allem Rohstoffe (Eisenerz, Eisen, Kohle, Erdgas, Gold, Öl), Ausbildung, Reisen, Weizen, Rinder … und CO2. Das war nicht immer so. Bis in die 1980er Jahre war das industrielle Schwergewicht die Schafzucht: bis zu 160 Mio Schafe lieferten Wolle und Fleisch und ermöglichten Australien den wirtschaftlichen Aufschwung. Schafzucht im grösseren Stil begann bereits 1810, nachdem die ersten Merinos aus England in die 1788 gegründeten Kolonie in Port Jackson (heute Sydney) eingeführt worden waren.

Schafe waren aber nicht Australiens erste erfolgreiche Industrie. Diese Ehre gebührt den Walfängern, die in Port Jackson bereits 1804 die Produktion von Walöl installiert hatten und dieses exportierten. Heute drehen wir einfach einen Schalter, wenn wir Licht brauchen, damals wurde vor allem mit Öllampen beleuchtet, die mit Walöl funktionierten. Zudem wurden Walknochen z.B. für die Herstellung von Korsetts, Walzähne für Klaviertasten verwendet. Die Nachfrage nach Walprodukten war reissend. Da sich verschiedene Walarten während neun Monaten im Jahr im Südwesten und im Südosten Australiens aufhalten, war der Walfang entsprechend ergiebig, wenn auch schwierig, denn die Wale wurde mit Ruderboten und mit von Hand geworfenen Harpunen gejagt — ein äusserst gefährliches Metier!

"Die letzte Meile" im Ruderboot (bis ca. 1900)

Gegen Ende des 19. Jahrhundert wurde Walöl immer mehr von Kerosin und Elektrizität abgelöst, und die Nachfrage nach Walöl brach ein. Zudem waren die Wale bereits arg dezimiert, der Fang immer schwieriger, sodass in Australien über viele Jahrzehnte nur noch wenige Wale pro Jahr gefangen wurden.

Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, als weltweit ein Mangel an Ölen und Fetten herrschte. Man entdeckte immer neue Produkte, die sich aus Walöl herstellen liessen oder die Walöl beinhalteten, z.B. hochwertige Schmieröle, Schuhcreme, Margarine, Seifen und Kosmetika, was den Preis in die Höhe klettern liess.

Luftbild zur Zeit des Umbaus von der Fabrik zum Museum;
gut sichtbar die runden Tanks

Deshalb nahm 1952 in Albany (WA) die Cheynes Beach Whaling Company ihren Betrieb auf und war rasch erfolgreich. Wale wurden jetzt mit Dampfschiffen gejagt und mit Harpunenkanonen gefangen. Der technologische Fortschritte ermöglichte die Ortung von Walen aus Flugzeugen und mit Ultraschall, was diesen kaum mehr Chancen liess. Doch bereits in den 1960er Jahren nahm die Nachfrage nach Walöl rasch wieder ab, weil nun synthetische Öle hergestellt werden konnten, und weil der Walfang international eine Ächtung erfuhr. Ab 1975 erteilte die Australische Regierung der Whaling Company in Albany die Lizenz zum Walfang jeweils nur noch für ein Jahr, die drei Waljägerschiffe (whale chasers) waren alt und hätten für damals $18 Mio ersetzt werden müssen. Am 20. November 1978 stellte die Cheynes Beach Whaling Company den Betrieb nicht überraschend ein, die 120 Mitarbeiter wurden arbeitslos. Das war gleichzeitig das Ende der Walfangindustrie in Australien.

Anders als die meisten anderen nicht mehr rentablen Industrieanlagen wurde die Fabrik in Albany mit viel Weitsicht zum Whale World Museum umgebaut. Mit $29 ist der Eintrittspreis heute ziemlich hoch, geboten wird aber ein an Authentizität kaum zu überbietender Einblick in den Walfang, in die Bedeutung von Walprodukten und in die Walverarbeitung in Albany zwischen 1952 und 1978.

Das Hauptprodukt der Fabrik war Walöl. Aus einem Wal von 50 Tonnen Lebendgewicht konnten etwa 7 t Öl gewonnen werden. Wie das genau ging, beschreibe ich weiter unten. Das Öl wurde in grossen Tanks gelagert und mehrmals pro Jahr in ein Tankschiff gepumpt und zumeist nach Rotterdam abtransportiert. Die Mengen waren gigantisch. Zum Beispiel wurden 1974 in Albany 1147 Wale geschlachtet und daraus fast 3000 t Öl produziert.


Das Museum besteht aus vier Hauptteilen:
  • die Cheynes IV — das letzte und grösste Waljägerschiff der Whaling Company
  • das Flensing Deck — der Ort, wo die Wale zerlegt wurden
  • der Maschinenraum — die Apparate, in denen aus dem Wal Öl und Mehl wurde
  • die Öltanks — diese sind heute begehbar und beherbergen die Ausstellungen 
Und nun zum optionalen Teil, dessen Lektüre nicht zu allen Tageszeiten und nicht für alle Leser geeignet ist.

Walfang

Während ca. 9 Monaten pro Jahr werden die Wale aufgespürt, mit einem Whale Chaser verfolgt, und mit einer Harpune aus einer Kanone am Bug des Chasers abgeschossen. Die Harpune ist über ein Seil mit dem Schiff verbunden und hat einen Sprengkopf, der im Wal detoniert und diesen tötet. Der tote Wal wird mit einer Funkboie markiert und vorerst sich selbst überlassen, während der Chaser dem nächsten Wal nachstellt.

Whale Chaser Cheynes IV

Harpunenkanone und Harpunen, die nach Gebrauch meist verbogen
waren und wieder gerichtet werden mussten

Funkboie (rot-gelb) zum Markieren von getöteten Walen

Verarbeitung

Die toten Wale werden später in die Fabrik geschleppt, auf das Flensing Deck gezogen und dort von Hand gehäutet, zerhauen, zersägt und zerstückelt. Der weitaus grösste Anteil des Fetts sitzt in in einer Zwischenschicht unter der ca. 10 cm dicken Haut des Wals. Aber ausser die dicksten Knochen und die Zähne wird alles in drei riesige Dampfkochtöpfe geworfen, dreieinhalb Stunden gekocht und dabei zu einem Brei zermanscht. Nun wird das Öl extrahiert, während der Rest weiter gemahlen und getrocknet wird. Das so produzierte Walmehl wurde als Proteinfutterzusatz v.a. für Vieh verwendet.

Das Flensing Deck heute (in Restaurierung)

Die Kopfsäge heute

Historisches Bild vom Flensing Deck

Historisches Bild: gesäbelt wurde vorwiegend von Hand

Historisches Bild: als Männer noch Männer waren

Historisches Bild; im Hintergrund die Kopfsäge

Die drei Rotationsdampfkocher

In diesem Rotationstrockner wird aus der Proteinmasse Walmehl

Zum Museum

Das Museum stellt sehr eindrücklich und in keiner Weise beschönigend dar, welch barbarischen Job die Waljäger und Flensers zu vollbringen hatten. Es geht auch auf die Bedeutung der Fabrik für Albany ein, und auf die Auswirkungen von deren Schliessung. In jedem der ehemaligen Öltanks ist ein anderer Aspekt im Detail und mit vielen Bildern und Artefakten beleuchtet. Das einzige, was das Museum in keiner Weise nachzustellen vermag, ist der bestialische Gestank, der an diesem Ort herrschte — man muss ihn sich mithilfe eines Originalfotos vorstellen, das eine Schulklasse zeigt, die damals das Flensing Deck mit dem vollen Blutbad besichtigte: die Besucher verdrehen die Augen und halten sich die Nase zu.

Im Innern eines Walöltanks

Wahlfang heute

Heute ist der Walfang international verboten. Trotzdem wird in einigen Länder weiter gejagt, offiziell  “zu Forschungszwecken”: allen voran Japan (geschätzt 1000 Wale pro Jahr), Norwegen (1000) und Island (200) — allesamt Länder, in denen der Verzehr von Walfleisch Tradition hat.


Und dies war mein hundertster Coooo-eeee-Blogeintrag — auf die nächsten hundert!

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