Canberra, die Hauptstadt Australiens, ist eine Retortenstadt und wird deswegen von den Bewohnern der grösseren Städte (allen voran Sydney, Melbourne, Brisbane) gerne als “Kulturwüste” geschmäht. Sicherlich hat eine Regierungsstadt — ausser Bern, natürlich — kaum je das Feuer oder den Charme einer über lange Zeit gewachsenen Wirtschaftsmetropole, aber die Stadt Canberra hat Werte, die sie zum must see jeder längeren Australienreise machen, wie ich schon vor vier Jahren festgestellt hatte. Damals reichte uns nicht einmal die Zeit, um alles zu sehen, was wir geplant hatten. Grund genug, noch einmal für drei Tage zurückzukehren.
Ganz besonders wollten wir uns nochmals die National Portrait Gallery vornehmen.
Für Nicht-Kunstverständige wie mich hat die National Portrait Gallery entscheide Vorteile gegenüber anderen Kunstgalerien:
- Sie ist flächenmässig und an der Anzahl der Exponate gemessen eher klein und deshalb übersichtlich.
- Der Gegenstand der Ausstellung ist klar abgegrenzt: Portraits von Australiern, von der ersten Besiedelung Australiens bis heute, zumeist Personen des öffentlichen Lebens.
- Die Exponate sind kommentiert, und dies erst noch verständlich!
- Der gedankliche Stereotyp eines Portraits — eine Person, meist sitzend, in Öl gemalt — wird gründlich demontiert.
(Anmerkung: alle Bilder sind mit höherer Auflösung hinterlegt— einfach draufklicken)
Das klassische Portrait mit goldenem Rahmen
Auch eine Büste ist ein Portrait
Auch eine abstrahierte Darstellung ist ein Portrait
Auch ein Selbstportrait ist ein Portrait
Auch eine Karikatur ist ein Portrait
Auch ein Graffiti ist ein Portrait (Nick Cave)
Doch was ist die Person? — Das wird bestimmt durch die Wahrnehmung des Artisten, denn die Person kann viel mehr sein als nur ihr Gesicht oder ihr Körper. Die Darstellung ist die künstlerische Leistung, die Darstellungstechnik meist anspruchsvolles Handwerk.
Die australische Rockgruppe Midnight Oil vor dem Hintergrund einer Tagebau-Uran-Mine, welche auf einen ihrer Hits, Blue Sky Mine, anspielt («nothing's as precious as a hole in the ground»)
Der Umweltaktivist, Arzt und Parlamentarier Bob Brown (*1944), der sich engagiert für die Erhaltung der Wälder um den Frankston River in Tasmanien einsetzte, um sie vor den Holzfällern zu schützen. Das Portrait erzählt die ganze Geschichte.
Auch ein Foto ist ein Portrait — die beiden Captains nach dem Rugby-Finale.
Die Geschichte hinter dem Bild wurde aber offenbar lange Zeit falsch erzählt.
Die Geschichte hinter dem Bild wurde aber offenbar lange Zeit falsch erzählt.
Auf diesem Bild ist das Pferd «Blue Mountain» das Subjekt nicht der Jockey
Ein Abguss des Kopfs von Ned Kelly, einem notorischen Bushranger, nach dessen Hinrichtung.
Neben den vielen einzelnen Portraits, bei denen es immer vor allem um die dargestellte Person und nicht um den Künstler geht, wird aktuell auch noch ein Ausschnitt aus dem Lebenswerk des bekannten Porträtisten Rick Amor gezeigt. Daraus war die zeitliche Entwicklung seiner Arbeit leicht ersichtlich.
Wie in allen nationalen Museen und Galerien in Canberra ist auch der Eintritt in die National Portrait Gallery gratis. Daneben gab es noch eine Sonderausstellung (AU$ 10), die das Thema Portrait auf sehr plastische Weise interpretiert. Uns blieb der Mund offen stehen: die Personen waren wohl aus Silikon hergestellt, doch mit derartiger Präzision, dass man sie von Lebenden kaum unterscheiden konnte:
«Unsettled Dogs», 2012, Sam Jinks (die Figuren sind nur ca. 80 cm gross, was sie fast surreal erscheinen lässt)
Diese 3D-Installation ist fast schon ein Thema für einen Maturaufsatz.
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