Dienstag, 27. Januar 2015

Mudgee, NSW

Wie ein blindes Huhn ein Korn findet  •  Wo die Visitor Information zuerst gut zuhört  •  Wie ein Famers Market aussieht  •  Warum Mudgee nicht vom Massentourismus überrannt wird

Manchmal trifft man beim Reisen an einem neuen Ort ein, um sogleich zu erfahren, dass gerade am Vortag der im Wochenkalender einmalige Anlass abgehalten oder dass am vergangenen Wochenende der grosse jährliche Event stattgefunden hat. Manchmal ist man aber genau im richtigen Moment an einem Ort und kann sich über einen unerwartetes Highlight freuen. Am vergangenen Donnerstag trafen wir rechtzeitig vor Ende der Öffnungszeit in der Touristeninformation in Mudgee ein. Der Himmel war schon den ganzen Tag wolkenlos gewesen und die Landschaft war immer noch sehr grün, was offenbar sonst im Januar kaum mehr der Fall ist.

Mudgee-Panorama (Klicke mich)

Wenige Tage zuvor wussten wir noch nicht einmal, dass Mudgee existiert, ja, die ganze Region Central New South Wales war uns unbekannt gewesen. Central NSW wurde in den 1830er-Jahren von den Kolonisten besiedelt. Das sind volle 40 Jahre später, als die Kolonie Port Jackson (heute Sydney) gegründet wurde. Der Grund dafür liegt in den Blue Mountains, die etwa 90 km westlich von Sydney liegen, und durch die Tafelberge mit ihren Abbrüchen und tiefen Tälern einen schwer zu überwindenden Riegel vor die Expansion schoben. Zuerst wurden die Städte Bathurst und Orange gegründet, dann wurden die landwirtschaftliche Expansion vorangetrieben. Mudgee wurde 1838 als Gemeinde eingetragen, schliesslich fand jemand Gold, und dann war der Teufel los. Allerdings nicht sehr lange, doch lange genug, dass in der Region einige hübsche Ortschaften mit schönen Gebäuden gebaut wurden.


Palmers Building in Orange

Im November hatte ich beschrieben, dass wir in Melbourne zuerst die Einheimischen aushorchen wollten, bevor wir die Reiseroute für die elf Monate in Australien festlegen, und dass wir im Übrigen gar keine detaillierte Reiseroute planen wollen. Nun, die grobe Route steht mittlerweile, und ich werde sie in einem der nächsten Einträge erläutern. Unser Freund David gab uns den Tipp, dass die Städte Bathurst und Orange “quite nice” wären. Weil wir David mittlerweile ziemlich gut kennen, wussten wir, dass es uns dort gefallen würde. So kamen wir also voller Neugier nach Central NSW und liessen uns seither von den Tipps der locals treiben, was sich einmal mehr auszahlen sollte.

Konkret kamen wir nach Mudgee (10’000 Einwohner), nachdem wir in einem umfangreichen Touristenmagazin über eine clever platzierte, doppelseitige Landkarte der Region Mudgee gestolpert waren, und darauf hin im Reiseführer gezielt über die Gegend nachzulesen begannen. Die Karte zeigte einen Haufen eng beisammen liegender Weingüter, der Reiseführer schlug vor, diese mit dem Velo anzusteuern. Da konnten wir nicht widerstehen. Und weil nicht unsere Informationen darauf beschränkten, war die erste Anlaufstelle, wie gesagt, die Touristeninformation von Mudgee. Die Dame war Spitzenklasse: nicht nur schien sie ihre “Produkte” genauestens zu kennen, sondern sie hörte auch genau hin, was wir zu sagen hatten, und machte stimmige Vorschläge zu weiteren Möglichkeiten. Als wir erklärten, dass kommerzielle Campingplätze nicht unser Ding seien, schlug sie uns die Cullenbone Picnic Area 10 km nördlich der Stadt vor, wo Camping erlaubt ist. Ein wunderbarer Ort am Cudgegong River, den wir fast für uns selbst hatten, und einer der Plätze, wo man abends von den Zykaden in den Schlaf gezirpt und morgens von hundert Vögeln geweckt wird.

Leere Zykadenlarven

Der zweite Vorschlag war der freitägliche Tapas-Event in einem der Weingüter von Mudgee, dem «Lowe organic vineyard, farm & winery» (Link). Wir entschieden uns, diese winery am Morgen gleich als erste anzusteuern, unser Auto dort stehen zu lassen und mit den Velos die Runde zu machen. Die Weindegustation bei Lowe sollte sich als eine der exklusivsten entpuppen, die wir je gemacht haben, mit Spitzenweinen und ausführlichen Kommentaren des Sommeliers. Zum Glück gab es noch freie Plätze für das Tapas-Dinner. Der freundliche Sommelier fragte uns auch, warum wir nicht gleich auf dem Gut übernachteten, damit wir ihre Weine zum Essen auch alle durchprobieren konnten. Die anderen Weingüter konnten zwar in keiner Weise mit Lowe mithalten — sie waren von schrullig über geerdet bis herzlich und gut informiert —, aber wir haben auch nur eine kleine Auswahl besucht. Die Tapas und die Weine waren von bester Qualität, die Abendstimmung im «Zin House» nicht zu übertreffen. Der Besitzer des Weinguts offerierte uns am folgenden Morgen noch eine Dusche — obwohl noch nicht Monatsende war, nahmen wir das Angebot dankend an.



Zin House @ Lowe Winery

Der dritte Vorschlag war der Besuch des Farmers’ Market am Samstag Morgen. Dieser Markt ist etwas weniger formell und durchorganisiert als der Berner Märit auf dem Bundesplatz, dafür von Live Musik begleitet und “farbiger”. Eine ausgezeichnete Gelegenheit, frisches Brot, Früchte, Gemüse und lokale Produkte wie Konfitüren oder Geisskäse einzukaufen und einen Kaffee zu trinken. In den beiden zentralen Strassen der Innenstadt hat es einige Art-Deco-Gebäude und zahlreiche schöne Cafés.




Kein Art-Deco-Gebäude dafür ein typisches Hotel mit dem obligaten Balkon

Der vierte Vorschlag, den uns am Tapas-Essen auch andere Gäste machen sollten, war ein Ausflug zur Dunns Swamp Camping Area (70 km) im Wollemi-Nationalpark. Obwohl swamp Sumpf bedeutet, hatte es kaum mozzies (Link). Der Campingplatz wird von Eukalyptusbäumen beschattet und liegt am gestauten Lauf des Cudgegong River, der weiter unten durch Mudgee fliesst. Im Kajak kann man die Flussbiegungen und -verzweigungen durchstreifen.




Der fünfte Vorschlag, eine kurze Wanderung durch das Fern Tree Gully (zu übersetzen etwa als “Farntobel”, wobei hier eher “Farnschlucht” zutreffend wäre), war eine schöne Abrundung des Programms.



Die Blue Mountains bilden auch heute noch einen Riegel, und zwar gegen den Massentourismus. Die Region Mudgee wird vor allem von Sydneysidern besucht, die das Besondere und Persönliche suchen. Die Tourbusse für Asiaten und Partyanimals halten sich vorwiegend an die Küste. So haben wir mit Mudgee wieder einmal eine kleine Perle entdeckt, die wir nicht eingeplant hatten. Na ja, auch ein blindes Huhn findet einmal ein Korn.

P.S. Als Hinweis in eigener Sache: seit Dezember sind meine Posts auf der Website zu Google Maps verlinkt. Für meine Leser, die per Email informiert werden: im Mail auf die Überschrift klicken, um auf die Webseite zu gelangen.

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