Freitag, 26. Juni 2015

Gibb River Road, Kimberly, WA

Das Pendant zum schweizerdeutschen den Löffel abgeben heisst in Englisch kick the bucket (wörtlich: den Kübel wegstossen). Die bucket list ist demnach alles, was man im Leben unbedingt einmal gesehen oder getan haben muss. Einen Punkt von dieser Liste abhaken heisst “tick this off my bucket list”.

Auf der bucket list jedes australischen 4WD-Fahrers finden sich die folgenden Tracks:
  • Simpson Desert — Überquerung von 1400 parallelen Dünen im Roten Zentrum; technisch nicht sehr schwierig und deshalb für viele machbar; die einzige “richtige” Wüste (im Sinn von Sandwüste) in Australien
  • Old Telegraph Track — steilste Abfahrten in tiefe und lange Wasserdurchquerungen im tropischen Nordosten; hier werden jährlich mehrere Dutzend Fahrzeuge zu Schrott gefahren
  • Canning Stock Route — eine 1’800 km lange Strecke in Westaustralien, die vor allem wegen ihrer Länge (Australier haben gerne Superlative: “most remote in the world”) und damit ihrer Abgeschiedenheit im Falle von Pannen herausfordert; technisch nicht sehr schwierig, aber hier ist materialschonendes Fahren von höchster Wichtigkeit
  • Gibb River Road (GRR)— eine 660 km lange Schotterstrasse im Kimberley, die durch viele seitliche Abstecher auf bis 3’000 km ausgedehnt  werden kann; technisch einfach und landschaftlich überwältigend
Wir haben keine bucket list, aber die GRR ist eines der Highlights im Nordwesten, das wir uns nicht entgehen lassen wollten. Im März hatte ich den Nullarbor-Roadtrip beschrieben, der vor allem wegen seiner Länge und Kargheit Bekanntheit erreicht hat. Als Kontrast hier eine vorwiegend materielle Sicht auf unseren zweiwöchigen "offroad"-Trip* entlang der GRR und ihren Seitenstrassen (die inhaltliche Sicht haben wir bereits in unserem englischsprachigen Blog dargestellt).

* Natürlich sind wir nicht neben der Strasse gefahren, aber die Strassen waren nur ungeteerte Pisten in mehr oder weniger gutem Zustand :-)

Die GRR wurde in den 1950er-Jahren angelegt, damit man die fetten Rinder nicht mehr wochenlang entweder nach Derby oder Wyndham treiben musste, sondern mit dem Road Train günstiger und schneller abholen konnte.

Route (GRR plus Abstecher)

River Crossing (zahm)

Der legendäre Pentecost River (hier mit wenig Wasser)

In der Regenzeit (Dezember bis März) fällt hier viel Regen, sodass die Bäche und Flüsse anschwellen, und die Route unpassierbar wird. Während der Trockenzeit (Mai bis Oktober) läuft das Wasser ab oder verdunstet, die Landschaft wird zunehmend trocken und öde. Nach der Regenzeit werden die Schotterpisten von Unterhaltsteams wieder instand gestellt. Weil die GRR einfach zu befahren ist, ist sie sehr populär, und die Pisten werden rasch wieder zu Wellblech, was Fahrzeugen und Reifen arg zusetzt. Im Juli sind in verschiedenen Staaten Schulferien. Es gilt deshalb, den sweet spot zu finden, wo einerseits die Flüsse bereits passierbar und die Pisten noch gut sind, wo andererseits die Schluchten (gorges) und die Wasserfälle noch genügend Wasser führen, dass man drin schwimmen kann. Später trocknen viele Wasserläufe aus oder das Wasser wird brackig, während auf der Piste der Staub die Sicht behindert und durch alle Ritzen dringt.

Grader (Planierer)

 Vor dem Kreuzen …

… und nach dem Kreuzen

Wellblech (nach Sonnenuntergang)

Mai schien uns der geeignete Zeitpunkt, und wir wurden nicht enttäuscht: jeden Tag strahlend blauer Himmel, überall Wasser zum Schwimmen, die Hauptpiste war in gutem Zustand und überall noch ein Plätzchen zum Campen. Wie bereits erwähnt ist die eigentliche GRR zwischen Derby und Wyndham nur 660 km lang, die Reise kann — und soll — durch side trips verlängert werden. In unserem Fall kamen nochmals 1’000 km hinzu, und wir waren 14 Tage unterwegs. Entlang der ganzen GRR gibt es keinen Mobilempfang.

Die logistische Herausforderung begann mit dem Einkauf in Broome, denn unterwegs gibt es neben (teurem) Treibstoff praktisch nichts zu kaufen. Das zweite logistische Problem sind Ersatzteile und Reparaturmaterial im Falle von Pannen, denn z.B. von den Mitchell Falls sind es gegen 400 km bis zum nächsten Reparatur- oder Abschleppdienst. Es wird allgemein geraten, zwei Ersatzreifen mitzuführen, weil beim Wiederherstellen der Pisten mit dem Grader viele Steine in der Deckschicht zerbrechen und wie frisch geschliffene Diamanten herausragen. Zudem wird das Fahrzeug durch das sich bildende “Wellblech” der Pisten teilweise brutal durchgerüttelt, was Schrauben und Steckverbindungen löst, Risse in Blechen und Schweissnähten verursacht, Halterungen, Träger und Blattfedern bricht, Reifen und Stossdämpfer rasch alt aussehen lässt. Am Strassenrand sieht man ab und zu liegegelassene und teilweise ausgeschlachtete Fahrzeuge. Hinzu kommt, dass am Strassenrand oft Rinder weiden oder dass Kängurus über die Piste hoppeln, was zu Zusammenstössen führen kann.

Minus ein Rad

Früher einmal der Stolz seines Besitzers

Wo lauert hier die Gefahr? Und: sind 80 km/h angemessen?

So gab es auch bei uns wieder etwas zu reparieren: bereits am zweiten Tag sankt der Flüssigkeitsstand im Kühler unseres Bremach (siehe Hunky Dory für die Details).

Kühlerreparatur

Es sind die Abstecher, welche die Attraktionen der GRR ausmachen, nicht die eigentliche GRR selbst. Diese ist wohl landschaftlich schön, aber an sich keine Reise wert. Allerdings degradiert auf den Seitenstrassen die Qualität der Piste teilweise rasch und deutlich — keine Rose ohne Dorn, muss man wohl dazu sagen. Alles in allem kamen gut 1600 km zusammen. Hier unsere Favoriten:
  • Mornington Wilderness Sanctuary — vor 10 Jahren noch eine riesige Rinderfarm, heute ein Naturschutzgebiet mit Forschungsstation; hochinteressante Vorträge; der Sonnenuntergang in der Sir John Gorge war bisher der schönste unserer Reise
  • Mitchell Falls — 500 km schlechteste Schotterpiste (für die letzten 80 km brauchten wir 3 Stunden) waren es wert, die Wasserfälle sind spektakulär; auf den 4 km Wanderung gab’s Aboriginal Rock Art, mehr Wasserfälle und jede Menge Vögel und Blumen. Der Rückflug im Helikopter ist unvergesslich.
  • Galvans George —ein kleines “Wasserloch” fünf Fussminuten von der Strasse, komplett mit Wasserfall, Tarzanseil und eingerollter Pythonschlange
  • Windjana Gorge — 60 m hohe Kalksteinwände, die vor langer Zeit ein Korallenriff waren; Vogelkonzert um 06:00 Uhr; Süsswasserkrokodile sozusagen zum Anfassen
Reifen: innert 500 km um viele Monate gealtert

Die Campingplätze (viele waren in Nationalparks) waren mit einer Ausnahme sehr gut bis exzellent. Die Temperatur tagsüber zwischen 30 und 35°C, das Wasser um 25°C. Mücken und andere Stechviecher hatte es nur wenige, sodass man am Abend stundenlang draussen sitzen konnte.

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