Freitag, 7. August 2015

Das Kleinbeuteltiersterben, Kimberley, WA

Warum das traditionelle fire management Arten schützt • Wie sich die Hauskatze im Outback etablierte und kaum auszurotten sein wird •  Mit welcher Methode das Kleintiersterben ergründet wird • Wozu Dingos nützlich sind.

Dass Australien grosse Probleme mit eingeführten Tier- und Pflanzenarten hat, ist kein neues Phänomen. Bereits in den 1840er-Jahren wurde im Northern Territory eine Farm mit aus Asien eingeführten Wasserbüffeln aufgegeben. Die Tiere entliess man in die Wildnis, wo es ihnen gefiel — sie vermehrten sich auf 300’000, und zerstörten in der Folge die wertvollen Schwemmebenen. Karpfen verderben im Murray River den anderen Fischen das Wasser, Rotfüchse rotten im Süden einheimische kleine Beutetiere aus. Oft setzt die Natur Barrieren — den Füchsen ist es in den nördlicheren Breiten zu heiss —, oft aber auch nicht. Seit Jahrzehnten kämpft man gegen wilde (engl. feral) Kamele, Esel, Pferde, Ziegen, Schweine und mehr.

Wasserbüffelbulle

Trotzdem haben in den letzten 20 Jahren auch im Norden die Populationen der kleinen Beuteltiere (Beutelratte, Quoll, Bandicoot, etc.) stark abgenommen. Die Zahlen der letzten 10 Jahre sind alarmierend: viele Arten sind akut vom Aussterben bedroht. Während in QLD und NT die eingeführte, giftige Cane Toad (Aga-Kröte) verantwortlich gemacht wird, war die Ursache im Kimberley (WA) unklar, denn die Cane Toad ist dort noch nicht angekommen. Die Vermutung war, dass ein weiteres eingeschlepptes und verwildertes Tier sein Unwesen treibt, jedoch eines, das kaum sichtbar ist, weil es vorwiegend nachts jagt: die Hauskatze (felix catus). Man schätzt, dass in Australien zwischen 5 und 18 Mio wilde Hauskatzen (feral cats) täglich (!) bis zu 75 Mio Kleintiere inkl. Vögel erlegen. Sie haben sich bestens an Wälder und Savanne adaptiert und sind extrem gute Jäger. Darauf sind die endemischen Arten nicht vorbereitet. Man versucht seit langem, die Katzen zu dezimieren, doch ist das sehr schwierig: Fallen-Stellen oder Abschiessen ist zu aufwändig, und während Füchse auf vergiftete Köder hereinfallen, fressen Katzen praktisch nur selbst erlegte Tiere.

Quoll (Quelle: Wikipedia)

Die im Kimberley vom Aussterben bedrohten Arten (30-2000 g schwer) fallen genau in das Beuteschema der Katzen. Dingos machen vorwiegend Beute von 1-2 kg (Wallabies, kleine Kängurus, Echsen, etc), Füchse und Cane Toads kommen, wie erwähnt, nicht vor. Und: auf Inseln, wo es keine Katzen gibt, leiden die bedrohten Arten nicht an Mitgliederschwund. Die Indizienlage gegen die wilden Hauskatzen ist also erdrückend, aber der Beweis fehlte.

Fotofalle (Quelle: australianwildlife.org)

Diese Verdächtigung hat nur einen Haken: wilde Hauskatzen — der Einfachheit halber nenne ich sie im Folgenden nur noch “Katzen” — gibt es im Kimberley bereits seit über 100 Jahren. Weshalb also wurde das Kleinbeuteltiersterben in den letzten 10-20 Jahren so akut? Eine wissenschaftliche Untersuchung sollte Licht ins Dunkel bringen und aufzeigen, wie man die bedrohten Tierarten retten kann. Im Mornington Wilderness Sanctuary hatten wir an einer der abendlichen Open-Air-Präsentationen die einmalige Gelegenheit, uns von Hugh McGregor die Details der Arbeit erklären zu lassen. Hugh, mittlerweile Dr. Hugh, hat vor 6 Jahren die Untersuchung des Verhaltens von feral cats mit seiner Doktorarbeit begonnen, und mittlerweile mehrere wissenschaftliche Publikationen dazu verfasst. Sein Vortrag war faszinierend, denn niemand hätte vor 6 Jahren gedacht, wie komplex die Untersuchung werden würde.

Ich versuche im Folgenden, nur die Eckpunkte von Hughs Arbeit darzustellen (wer sich für die Details interessiert, dem sei “Landscape Management of Fire and Grazing Regimes Alters the Fine-Scale Habitat Utilisation by Feral Cats”, McGregor et al.,  als Einstieg empfohlen), und gebe jetzt schon Entwarnung: es braucht keinen akademischen Grad, um das Vorgehen zu verstehen.

Hugh hatte die Beobachtung gemacht, dass die bedrohten Tierarten in steinigem oder felsigem Gelände viel weniger stark dezimiert waren als dort, wo die Vegetation, die ihnen Deckungen bietet, geschädigt ist. Er postulierte die folgende Hypothese: Katzen wählen ihr Territorium danach aus, wo ihr Jagderfolg am grössten ist, und passen ihre Jagdgründe dynamisch an, wenn sich andernorts bessere Beutechancen einstellen. Konkret: dort, wo grosse Pflanzenfresser (Kühe, Pferde, Büffel) die schützende Vegetation fressen oder zertrampeln, oder dort, wo Feuer die Deckung zerstört hat. (Aus dem vorletzten Blogeintrag wissen wir, dass nur intensive, grosse Feuer die Deckung der kleinen Tiere zerstören, während schwache, lokal begrenzte Feuer (patch burns), wie sie die Aborigines legen, Ausweichmöglichkeiten lassen.)

Kühe in der Nähe des Mornington Sanctuary

Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet stets, nach einer zuvor festgelegten Methode vorzugehen, messbare, nachvollziehbare Resultate zu erarbeiten und damit eine oder mehrere Hypothesen zweifelsfrei zu belegen. Hugh musste nun den Beweis für seine Hypothese erbringen. Sein Ansatz war, die Bewegungen der Katzen in einem Gebiet aufzuzeichnen und durch ein mathematisch-statistisches Verhaltensmodell abzubilden, wenn auf ausgewählten Parzellen die folgenden Parameter variiert werden:
  • Präsenz (resp. Absenz) von Kühen
  • intensive, grosse (resp. schwache, begrenzte) Feuer
In den relevanten Parzellen wurden die Bestände der bedrohten Tierarten periodisch mittels Käfigfallen ermittelt (z.B. eine Falle pro 200 m2 während drei Nächten) und die Tierchen danach wieder in die Freiheit entlassen.

Als “Spielwiese” für das mehrere Jahre dauernde Experiment dienten das Mornington Sanctuary und das Marion Downs Sanctuary, zwei ehemals grosse Rinderfarmen, die heute gänzlich rinderfrei sind, sowie eine angrenzende aktive Rinderfarm, zusammen gut 7’000 km2 (= 1/6 der CH). Das ergab ein riesiges Savannenland mit homogenen geologischen und biologischen Eigenschaften, auf dem ein Teil rinderfrei war, der andere nicht. Die Feuer wurden nach einem ausgeklügelten Muster vom Boden oder aus der Luft gelegt und in der Intensität variiert (früh resp. spät in der Saison).

Savanne

Spinifex-Grasbüschel sind Lebensraum für viele Kleintiere

Die Bewegungen der Katzen aufgrund von Veränderungen in ihrem Habitat werden mit Funksendern aufgezeichnet, die Batterie hält mehrere Monate. Aber wie bringt man wilde Hauskatzen dazu, einen Sender zu tragen? Dies war der unterhaltende Teil des Vortrags. Hugh hat zwei trainierte Hunde, die Katzen aufspüren und sie dann auf einen Baum jagen. Von dort werden sie mit einem Betäubungsgewehr heruntergeholt und in einem Netz aufgefangen. Dieses kurze Video zeigt, wie’s geht. Es dauerte drei Nächte, bis die erste Katze gefangen werden konnte. Insgesamt wurden bisher über 50 Katzen mit einem Sender ausgerüstet.

Katzenjäger (Quelle: australianwildlife.org)

Es stellte sich aber bald heraus, dass die Funkpeilung in dem riesigen Gebiet ungenügend war. Detaillierte grossräumige Bewegungen mussten deshalb via GPS-Tracking ermittelt werden. Also “sammelte” Hugh die Katzen mithilfe ihres Funkhalsbands wieder ein (Methode: ungefähre Peilung–Hund–Baum–Gewehr–Netz), und versah sie zusätzlich mit einem GPS-Halsband. Die Daten, die daraus gewonnen wurden, brachten viele Erklärungen:
  • die Katzen sind territorial mit einem Revier von 0.5 bis 8 km2 
  • sie suchen sich systematisch Jagdgebiete, in denen ihre Beute wenig Deckung hat
  • sie registrieren Brände und suchen mehrere Wochen später die Brandgebiete auf; es ist unklar, ob sie die Brände riechen oder sehen, aber es ist eine erstaunliche Leistung, dass sie sich Wochen später noch daran erinnern. Warum suchen sie die Brandgebiete nicht sofort auf? — Kurz nach dem Brand kommen die Dingos, die auf flüchtende oder versehrte Wallabies aus sind … oder auf Katzen. Erst wenn die Dingos wieder weg sind, getrauen sich die Katzen hin.
  • eine Katze traversiert auf dem Weg zu einem Brand sogar Reviere von anderen Katzen (das gibt zwar Streit, aber es lohnt sich offenbar)
Das genau Jagd- und Fressverhalten konnte Hugh ermitteln, indem er Katzen eine modifizierte GoPro-Kamera umschnallte. Die Batterie hält zwar nur wenige Stunden, aber die Resultate sind extrem aufschlussreich und unterstreichen die Erkenntnis, dass Katzen lieber und erfolgreicher im offenen Gelände jagen. Er konnte sogar zeigen, dass die Katzen gelernt haben, Schlangenarten zu unterscheiden: ungiftige Schlangen verschlingen sie ganz, giftigen trennen sie vorher den Kopf ab.

Patch burning

Zum Schutz der bedrohten kleinen Beuteltiere vor den Katzen, das konnte Hugh mit seiner Arbeit aufzeigen, muss der durch die Vegetation gebildete natürliche Schutz aufrecht erhalten werden: Es muss Zonen geben,
  • die frei von Kühen, Büffeln, Pferden, Kamelen, etc. sind
  • in denen das saisonale patch burning der Aborigines praktiziert wird
  • in denen die Dingos geschützt werden.
Dass die Bestände der bedrohten Tierarten in den letzten 20 Jahren so dramatisch gesunken sind, hat zu Einen damit zu tun, dass das traditionelle Abbrennen immer mehr verhindert wurde, weil man Brände unter allen Umständen verhindern wollte — die Konsequenzen waren heftige wild fires. Zum Anderen, dass auf Rinderfarmen unter Kostendruck die Dichte der Kühe stetig gesteigert wurde bzw. wird, was den Druck auf die Vegetation erhöht.

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